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Der Zustand der Schweizer Gewässer

Die Gründe für den Artenrückgang der Schweizer Fischfauna sind vielfältig. Eine wichtige Rolle spielt die Veränderung des Lebensraums der Wasserorganismen. Durch bauliche Eingriffe in die natürliche Dynamik der Fliessgewässer und Seen werden in der Schweiz schon seit mehr als hundert Jahren die Flusslandschaften sowie Seeregionen enorm verändert: Begradigungen zur Landgewinnung, Verbauungen für die Infrastruktur, Bauten für den Hochwasserschutz, Seeregulierungen zur Infrastruktursicherung und nicht zuletzt die Wasserkraftnutzung für die Energiegewinnung haben die Flüsse in isolierte Kleinteile zerstückelt und die Seeufer enddynamisiert.

Im Jahr 2022 veröffentlichte das Bundesamt für Umwelt einen ersten umfassenden Bericht, welcher den Zustand der ober-und unterirdischen Schweizer Gewässer bewertet und den weiteren dringlichen Handlungsbedarf, trotz guter gesetzlicher Grundlage, aufzeigt:

Bachforelle in starkt veralgtem Mittellandfluss (A. Trachsel)
  • Gewässerqualität: Mikroverunreinigungen belasten nach wie vor die Gewässer stark, so dass es regemässig und andauernd zur Schädigung von aquatischen Lebewesen kommt. In kleinen Fliessgewässern spielen dabei vor allem Pestizide eine grosse Rolle, in den grossen Fliessgewässern Arzneimittelrückstände.
    Das Grundwasser wird grossflächig von Pestizid-Metaboliten belastet, so dass es mancherorts nur noch eingeschränkt als Trinkwasser genutzt werden kann. Zudem sind durch die intensive Landwirtschaft die Nährstoffeinträge in die Gewässer sehr hoch, was sowohl zu einer Überdüngung der Meere beiträgt (via Stickstofftransport durch unsere Flüsse) als auch das hiesige Grundwasser belastet.
    Lokal kommt es auch immernoch zu zu hohen Phosphorbelastungen von grossen Seen. Und auch wenn die Phosphoreinträge in die grossen Seen flächendeckend stark zurückgegangen sind, so hat sich der Sauerstoffmangel im Tiefenwasser bisher kaum erholt und weitet sich mancherorts sogar aus (verstärkt durch die fehlende Winterdurchmischung aufgrund der Klimakrise).
    Auch Kunststoffpartikel in diversen Grössen sind in unserem Gewässern häufig present (v.a. Gummiabrieb von Reifen oder Plastikpartikel).

 

Übersicht über den Gefährdungsstatus unserer aquatischen Lebewesen (BAFU, 2022)
  • Biologischer Gewässerzustand: Die Biodiversität rund um unsere Gewässer ist überproportional gross (über 80 % aller in der Schweiz bekannten Tierarten kommen in Gewässern und den direkt an sie anschliessenden Ufer- und Auenlebensräumen vor) und ebenso überproportional gefährdet (über 50 % aller Arten, die in und an Gewässern leben, sind gefährdet oder bereits ausgestorben). Bei den verschiedenen Organismengruppen findet man eine reduzierte Biomasse, eine Zunahme der Generalisten (bei gleichzeitiger Abnahme der Spezialisten und der empfindlichen Arten) und eine Zunahme der gebietsfremden Arten.

    Der katastrophale Rückgang und die Verschiebung der aquatischen Biodiversität ist bei einem genaueren Blick auch nicht verwunderlich: Bei den untersuchten Fliessgewässern können bis zu 80 % (!) ihre Funktion als Lebensraum nur ungenügend wahrnehmen. Die Gründe dafür sind Verunreinigungen, das Fehlen vielfältig strukturierter Lebensräume und die starke Zerstückelung der Gewässer durch Wanderhindernisse. Dies betrifft insbesondere die Flüsse und Bäche im Mittelland.
    Auch auch die  Pflanzen- und Tiergesellschaften der Schweizer Seen sind stark von menschlichen Einflüssen geprägt. Die stärksten Auswirkungen auf die Artenzusammensetzungen in den Seen hat nach wie vor die enorme Nährstoffbelastung, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte.

 

Ökomorphologischer Zustand der Fliessgewässer

Unter Ökomorphologie versteht man die Struktur eines Lebensraumes. In Bezug auf die Fliessgewässer umfasst der Begriff die Beeinflussung durch den Menschen, die Beschaffenheit des Ufers, der Sohle, des Umlandes und die Vernetzung.
Das Schweizer Gewässernetz umfasst, erhoben im Massstab 1:25’000, etwa 65’000 Kilometer Fliessgewässer. In den vergangenen Jahrzehnten wurde der morphologische Zustand der Flüsse erhoben und mit einer einheitlichen, 5-stufigen Bewertung dokumentiert.² 

Zustand des FliessgewässersBetroffene Länge in kmBetroffene Länge in %
natürlich, naturnah 35'00054
wenig beeinträchtigt16'00024
stark beeinträchtigt7'00010
künstlich, naturfremd3'0005
eingedolt4'0007

Demnach gelten knapp über die Hälfte der Fliessgewässer in der Schweiz als naturnah und nahezu ein Viertel sind als wenig beeinträchtigt kartiert. Für die Fische sind insbesondere die roten Klassen problematisch, welche zusammen 22 % aller Schweizer Fliessgewässer ausmachen. Die Verteilung der Klassen über die Schweiz ist sehr inhomogen. In Siedlungen sind 81 %, im Landwirtschaftsgebiet 48 % und im übrigen Gebiet 7 % der Fliessgewässer in einem schlechten Zustand.

Hindernis nach Hindernis

Neben dem allgemeinen Zustand der Gewässer spielt die freie Durchgängigkeit für die Fische eine besonders grosse Rolle. Diese beinhaltet neben der linearen Vernetzung entlang des Flusslaufes auch die laterale Vernetzung der Hauptgewässer mit kleineren Nebengewässern. Nach einer Hochrechnung des Bundesamtes für Umwelt gibt es in der Schweiz ca. 101’000 künstliche Hindernisse mit einer Höhe von über 50 cm². Das sind im Durchschnitt 1,6 Hindernisse pro Gewässerkilometer. Kleinere Hindernisse gibt es noch unzählige mehr. Je nach Fischart sind Abstürze und Stufen ab einer Höhe von 20 – 50 cm eine unüberwindbare Barriere. Durch diese Beeinträchtigung hat sich der  Lebensraum zahlreicher Arten enorm verkleinert.

Der Lachs als trauriges Beispiel

Ein sehr anschauliches Beispiel für die Problematik der Hindernisse bietet der Atlantische Lachs. Wurde er früher in Hülle und Fülle gefangen so ist er mit dem Bau der Kraftwerke am Rhein in der Schweiz in den 30er Jahren endgültig ausgestorben, da sein Weg vom Meer zu uns versperrt wurde – siehe Grafik.

Übersicht über die Lachsfänge in der Schweiz (Peter et al., 2010)

 

 

Mit grosser Anstrengung wird nun versucht den Lachs wieder bei uns anzusiedeln. Dazu werden jährlich Lachseier und -brütlinge in unseren Gewässern ausgesetzt, die Durchgängigkeit voran getrieben und Lebensraumaufwertungen durchgeführt, in der Hoffnung, dass der Lachs eines Tages wieder bei uns heimisch ist. 
Siehe dazu auch: Salmon Come Back.

Man darf dabei nicht vergessen, dass der ursprüngliche Schweizer Lachs mit seinem evolutionär einzigartigen Erbgut für immer ausgestorben bleiben wird! Die „neuen Schweizer Lachse“ sind eine genetische Mischung aus den noch bestehenden Lachsbeständen in Frankreich und Deutschland sowie mit der Zeit aus den rückkehrenden Tieren.


1 BAFU (Hrsg.) (2022). Gewässer in der Schweiz. Zustand und Massnahmen. Bundesamt für Umwelt (BAFU), Bern. Umwelt-Zustand Nr. 2207.
2 Weissmann, H.Z., Könitzer, C. & Bertiller, A. (2009). Strukturen der Fliessgewässer in der Schweiz. Zustand von Sohle, Ufer und Umland (Ökomorphologie) – Ergebnisse der ökomorphologischen Kartierung. BAFU, Bern.
3 Peter, A., Lubini-Ferlin, V., Roulier, C. & Scheidegger, C. (2010). 6 Gewässer und ihre Nutzung. In: Lachat, T., Pauli, D., Klaus, G., Scheidegger, C., Vittoz, P. & Walter, T. (Hrsg.) Wandel der Biodiversität in der Schweiz seit 1900. Ist die Talsohle erreicht? (S. 196-223). Bern: Haupt Verlag.